Schon beim Entwurf des VCS 2 und dem damit verbundenen Studium der gängigen Schaltungen traten immer häufiger Fragen nach dem „Warum so“ auf und es entstand zu dieser Zeit eine Art Gläubigkeit an die Allwissenden. Jeder Schaltung und jedem Detail wurde unterstellt, das Ergebnis eines gezielten Prozesses zu sein.
Oftmals wurde aber nur das genommen, was gerade da war. Oder es wurde probiert, ob etwas so funktioniert wie man es brauchte. Und wenn es funktionierte, war es gut, denn es war anders als das der Konkurrenten und das war ein Verkaufsargument.
Damals erschienen uns die Details oftmals als geniale Lösungen für Probleme. Wir verwechselten oft Ursache mit Wirkung.
Man muss bedenken, dass zu dieser Zeit (Anfang der Achtziger-Jahre) Informationen über Synthesizer nur schwer zu bekommen waren (Internet wo warst du?).
Beim Studium in Berlin entstand aus dem ersten Kontakt mit dem damaligen, allseits gefürchteten Elektronikdozenten, ein Mentor. Durch seine Unterstützung und vor allem seine spezielle Herangehensweise an Probleme, wurde der Grundsatz geprägt:
Wenn ein Problem da ist, löse es nicht, sondern stelle fest, woher es kommt und ob die Beseitigung des Problems für das Ergebnis notwendig ist.
Hierbei wurde eines immer außer Acht gelassen: Die Wirtschaftlichkeit.
Oberstes Ziel war es, Wissen zu erlangen!
Und genau das ist es, was wir mit unserem Modular-System versuchen. Wir wollen das strukturelle Zusammenspiel klangerzeugender Baugruppen erkennen und ihre Notwendigkeit hinsichtlich Anzahl, Verknüpfung und Konstruktion verbinden.
Voraussetzung hierfür ist jedoch ein Verständnis für das zu entwickeln, was wir als Klang-Wahrnehmung bezeichnen. Es geht dabei nicht primär darum, eine Möglichkeit zu finden, um den Sound zu erzeugen, sondern eine Reihe von Werkzeugen zu schaffen, mit denen man sich der Antwort nähern kann, was eigentlich der Sound ist.
Dabei sind uns wirtschaftliche Zwänge zwar bewusst, interessieren uns aber nur hinsichtlich der Grenzen der realisierbaren Entwicklung. Ob ein Modul 100,- € kostet und es sich jeder kaufen kann, oder ob es 5.000,- € kostet und nur unser Prototyp gebaut wird, spielt keine Rolle; Hauptsache es stellt die Basis für eine Weiterentwicklung dar.
Es stellte sich bei der Arbeit an einzelnen Modulen oftmals heraus, dass es wichtig ist, den Schwerpunkt auf einen speziellen und manchmal sogar völlig neuen Bereich zu legen.
So haben wir z. B. festgestellt, dass nicht die Anzahl der Kanäle bei Vocodern für die Sprachverständlichkeit wichtig ist, sondern eine Art asymmetrische Struktur der Filter, inklusive eines adaptiven zeit-variablen Ansprechverhaltens. Dieses Wissen ist dann in die Entwicklung der Filter (z. B. bei der Notch-Struktur) und Hüllkurven unseres Modular-Systems eingeflossen.
Ein anderes Beispiel ist der Ruf nach vielen VCO’s oder vielen Modulationseingängen. Dabei haben Untersuchungen gezeigt, dass viele den zweiten VCO nur nutzen, um eine Suboktave zu erzeugen. Also liefern unsere VCO’s gleich Suboktav-Signale mit, und zwar nicht nur Rechteck, sondern auch Dreieck und Sägezahn.
Bei Modulationen existiert ein ähnliches Problem: Summiert man mehr als 3 bis 4 Eingänge, kommt es durch die Interferenzen der Modulationssignale zu einer kurzzeitigen Erhöhung des Modulationshubs und damit zum zyklischen Verlassen der kritischen Bandbreite des Sounds und einer unbeabsichtigten Zunahme der Sprödigkeit.
Modulation ist sicher wichtig, aber keiner beschäftigt sich mit Kompensationen der Frequenzverschiebung bei einer Intensitätserhöhung durch die Sustain-Phase einer Pitch-Hüllkurve. Dabei sind gerade Zeitvorgänge ein wichtiger Punkt in unserem System. Das ist im Ansatz schon bei unserem derzeitigen ADSR erkennbar. Unser ADSR enthält einige untypische Funktionalitäten.
In den letzten zwei Jahren sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass Hüllkurvenverläufe, so wie wir sie bisher kennen, unzureichend sind. Hierbei geht es nicht um die generelle Struktur, sondern um den zeitlichen Verlauf der einzelnen Bereiche. Nicht um die Auswirkungen, sondern um die gezielte dynamische Veränderung in Abhängigkeit ihrer gewünschten Wirkung. Das heißt:
Nicht die Modulation bestimmt die Auswirkung, sondern das Ziel der Modulation bestimmt über eine kontrollierte Veränderung der Modulation das Ergebnis, also den Klang.
Hierbei versuchen wir zu erkennen, welche Auswirkungen die zeitlich-dynamischen Veränderungen der klangbestimmenden Parameter auf dynamische, harmonische und melodische Ebenen haben.
Es sind aber nicht nur Fragen nach exponentiellem, logarithmischen oder linearen Verläufen gemeint. Eine konkrete Frage wäre, wann ich den Unterschied einer Modulation nach einer Logarithmus-Funktion zur Basis 2 gegenüber einem Verlauf zur Basis e, z. B. in Filterverläufen, wahrnehme. Ist dieser Unterschied von Bedeutung und wenn ja, unter welchen Randbedingungen?
Bei unserem System geht es gerade darum, solche Effekte absichtlich hervorzurufen. Dies ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn absichtlich bedeutet für uns immer erstens kontrolliert und zweitens reproduzierbar.
Diese Reproduzierbarkeit halten wir für so wichtig, dass wir begannen, Netzteilspannungen mit definiertem Pegel und begrenztem Spektrum zu „verrauschen“, um zufällige Sync-Funktionen zu untersuchen. Alles Zufällige ist tabu – es sei denn, es ist erwünscht und kontrolliert.
Voraussetzung hierfür war eine gänzlich andere Herangehensweise als üblich.
Da wir ein „nicht klingendes“ Werkzeug im Sinne eines Studiomonitors benötigten, musste zunächst analysiert werden, warum einzelne Instrumente ihre individuelle Klangcharakteristik besitzen. Dies setzte zur Analyse neben einem hohen Zeitaufwand auch erhebliche Mittel voraus, um entsprechende Referenzgeräte alter Hersteller und Messtechnik zu besorgen.
Aufgrund des Umstandes, dass wir primär nicht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund sehen, haben wir für diese Analyse nahezu sechs Jahre benötigt und betrachten diese als noch nicht abgeschlossen.
Mittlerweile sind die Ergebnisse so umfangreich, dass wir überlegen, ein Buch über „Konstruktionsbedingte Fehler und die klanglichen Auswirkungen bei analogen Synthesizern“ zu schreiben.
Zurzeit steht aber die Arbeit am System im Vordergrund und außerdem ergeben Vorträge und Workshops zu diesen Themen bereits interessante Kontakte und Diskussionen.
Vielleicht findet sich ein Sponsor, der sich für derartige Untersuchungen interessiert und die Kosten von ca. 10 Personen für die nächsten 10 bis 15 Jahre übernimmt und damit hilft, unsere Theorie vom Vorhandensein des absoluten Klanges zu bestätigen.
Steffen Marienberg
Andreas Michel ( Synthesizer-Magazin )